Samstag, 2. Januar 2010

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Beitraege zur Ortsgeschichte des Marktdorfes Weilmuenster


I.
Vom Taurus zum Taunus

Ein digitales Buch der
Schriftenreihe Landeskunde
CID - Verlag Weilmuenster




Donnerstag, 14. Februar 2008

Historische Zusammenhänge der Entstehung des „Neuen Jüdischen Friedhofes“ auf dem Gelände der ehemaligen Nassauischen Landesheilanstalt (Klinikum Weilmünster) zwischen 1890 und 1945
Aus der Forschungsarbeit von CID-Forschung
http://www.cid-forschung.blogspot.com



Summary in English:
The Sarahs / Aspects Weilmünster Village History 1890-1945
Rather uncommon for an small rural village in our region is the existence of 2 Jewish Cementeries as we can find them in Weilmünster – the older one at the Kirberg mountain and the new one on the territory of the Nassau County Sanatory created after 1945. The present investigation intents to light up the historic backgrounds of the alleged complete moving away of the Jewish Community of the village during the decades before the outbreak of the First World War as well as resolve questions on procedence and destiny of Weilmünsters citizens buried on the new cementery short before and during the Second World war. In this context aspects of the local structural changes between 1890 and 1910 related with the construction of the Nassau County Sanatory and the parallel railway construction projects in Taunus Mountains (Nassau), Taurus Mountains (Anatolia) and Hauran Mountains (Palestine) are examined.


Resúmen en Español:
Las Sarahs / Aspectos de la Historía Local de Weilmünster 1890-1945
Poco común para un pueblito campestre en nuestra región es la existencia de 2 Cementerios Judios como los podemos encontrar en Weilmünster – el mas viejo en las laderas de la Montaña del Kirberg y el Nuevo en el territiorio del antiguo « Sanatorio del Condado de Nassovia » creado despues de 1945. La presente investigación intenta iluminar al fondo historico del supuesto abandono completo del pueblo por la comunidad local judia en las decadas antes del inicio de la Primera Guerra Mundial igualmente como resolver preguntas sobre la procedencia y el destino de los ciudadanos de Weilmünster enterrados en el cementerio nuevo poco antes y durante de la Segunda Guerra Mundial. En ese contexto tambien se consideran aspectos del cambio estructural del pueblo entre 1890 y 1910 como la construcción del Sanatorio del Condado de Nassovia y los peoyectos parallelos de construcción ferroviaria en las Montañas del Taunus (Nassovia), las Montañas del Taurus (Anatolia) y las Monañas del Hauran (Palestina).


Kurzfassung in Deutsch:
Die Sarahs / Aspekte der Weilmünsterer Ortsgeschichte 1890-1945
Weilmünster besitzt, was für eine ländliche Gemeinde dieser Größe ungewöhnlich ist, 2 jüdische Friedhöfe – den Alten Jüdischen Friedhof am Kirberg und einen Neuen, nach 1945 in der jetzigen Form angelegten, auf dem Gelände des Klinikums. Die vorliegende Untersuchung soll dabei versuchen, die historischen Hintergründe für das angebliche vollständige Abwandern der großen örtlichen Jüdischen Gemeinde in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu beleuchten sowie Fragen der Herkunft und des Schicksals der auf dem neuen Jüdischen Friedhof bestatteten Bürger Weilmünsters zu untersuchen. Dabei werden der örtliche Strukturwandel von 1890 bis 1910 im Zusammenhang mit dem Bau der Nassauischen Landesheilanstalt und der parallelen Eisenbahnbauprojekte im Taunus, im Taurus (Anatolien) und im Hauran (Palästina) betrachtet.



Als sich das 19te Jahrhundert seinem Ende näherte, wurde begonnen, bereits seit längerem existierende Planungen zur verkehrstechnischen Erschließung dreier abgelegener europäischer und levantinischer Bergregionen in die Realität umzusetzen. Es handelte sich dabei um die, mittels moderner Verkehrsmittel bislang nur schwer zugänglichen Gebirgsgegenden des Taunus, des Taurus und des Hauran.


Das größte dieser 3 Eisenbahnbauprojekte, die unter anderem bzw. zumindestens zeitweise von der kaiserlich deutschen Eisenbahnverwaltung, der Deutschen Bank und der Frankfurter Holzmann Aktiengesellschaft vorangetrieben, finanziert und realisiert wurden, war der Bau der Bagdad- und Hedschaz-Bahn, die als wichtige Alternative zum Seeweg über Gibraltar, die Erschließung und Anbindung der Kleinasiatischen und Levantinischen Länder – des damaligen islamischen Osmanischen Reiches - an Deutschland, Österreich und Ungarn – also die Staaten der Habsburger Monarchie – vorantreiben sollte.


Dabei spielten bei den Planungen zur verkehrsinfrastrukturellen Anbindung sowohl innereuropäische Machtkonkurrenzen und divergierende Wirtschaftsinteressen zwischen den deutsch-, französisch-, englisch- spanisch und russischsprachigen Machtblöcken als auch gemeinsame europäische Wiedereroberungsinteressen bezüglich der Levanteregion durch die ehemaligen Teilnehmerländer der Kreuzugs-Conquista von 1096 bis 1270 nach Christus eine bedeutende Rolle bei der Öffnung der Zugangswege und Streckenführung entlang der historischen Vormarschrouten und zu den Stätten der militärischen Desaster der Kreuzritter bzw. zu den heiligen Stätten der islamischen Kultur.


Zwischen 1890 und 1918 wurde hierbei der letzte noch nicht fertiggestellte Abschnitt der Bagdadbahn in Angriff genommen, der das anatolische Hochland zusätzlich zur Verbindung über Ankara, Kayseri und Malatya mit einem Schienenstrang durchfahrbar machen sollte. Dieser verband bei seiner Fertigstellung die Städte Eskishehir, Afyon, Aksehir, Konya, Karaman und Eregli durch die kaum begehbare Hachakyra-Schlucht mit Adana, wo anschließend die bereits fertiggestellten Bahnlinien nach Bagdad und Damaskus weiterführten. In der deutschen Schul-Geschichte wohlbekannte historische Bedeutung kommt diesem Streckenabschnitt deshalb zu, weil der germanische Kaiser Friedrich der II (genannt Rotbart bzw. Barbarossa) nach dem Gemetzel des Kreuzfahrerheeres in Konya auf dem anschließenden Weitermarsch dort ums Leben kam – möglicherweise weil seine eigenen Mannen es vorzogen, im Einvernehmen mit der ortsansässigen Bevölkerung die Wanderung ins eigentlich angestrebte „Gelobte Land“ fortsetzen zu können. Die Zahl der Ruinenstädte entlang der Wege der Kreuzritter durch das Taurus-Gebirge in der heutigen Türkei spricht dabei eine noch eindeutigere Sprache.


Parallel zum Bau des anatolischen Streckenabschnittes der Bagdadbahn gelangten Planungen der deutsch-palestinensischen Siedlungsgesellschaft zur Umsetzung, die seit etwa 1866 für die Auswanderung von Deutschland nach Palästina und für die Ansiedlung in den dortigen (zuerst) 4 organisierten Tempelkolonien Haifa, Jaffa (Sarona), Beirut und Jerusalem warb. Der Deutsche Palästina-Verein (auch: Tempelverein, Tempelgesellschaft / Leipzig) hatte dazu den Geographen und Ingenieur Dr. Gottlieb Schuhmacher beauftragt, die früheren Erkundungsarbeiten der Landeskundler Ulrich Jasper Seetzen, Johann Ludwig Burkhardt, Fritz Noetling und J.B. van Kasteren durch wissenschaftlich exakte Kartierungen so zu vervollständigen, dass eine verkehrstechnische Erschließung des Hauran-Gebirges zwischen dem See Genezareth und Damaskus möglich würde. Schumacher sammelte und wertete dabei nicht nur geographische Landschaftsmerkmale aus, die für den Straßen-, Brücken- und Bahnlinienbau von Bedeutung waren. Mit absoluter akribischer Exaktheit wurden sämtliche antiken Trümmer und Ruinen kartiert und analysiert, jede existierende Inschrift begutachtet und registriert, hunderte von Gräbern und Steinsarkophagen geöffnet, bis schließlich, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges das gefunden worden zu sein scheint, was der tiefgründigere Anlaß der jahrzehntelangen Forschersuche gewesen sein könnte: die Knochen der Pferde und Ritter der Heeres von Richard Löwenherz, der gen Damaskus zog, Saladdin zu besiegen.


Das entsprechende Gemetzel fand dabei wahrscheinlich am Eingang der schwer durchfahrbaren Yarmukschlucht statt, bei den heißen Quellen von Hamat Gader direkt unterhalb den Ruinen des antiken Antiochia-Gadara. Durch die Yarmuk-Schlucht wurde dann konsequenterweise ein aufwendiges Bauwerk der Eisenbahntechnik geplant und geführt, dass pro Kilometer 4 „Sonderbauwerke“ in Form von Tunnels, Brücken und Übergängen notwendig machte und dass kurz nach seiner Fertigstellung vom britischen Guerrillakämpfer Lawrence of Arabia sabotiert und im Jahre 1918, beim Vorstoß indischer und englischer Soldaten vom Suezkanal über Gaza und Jerusalem in Richtung auf Damaskus in einer blutigen Schlacht von österreichischen Gebirgsjägern kommandiert von General Pomiankowski, vom deutschen Levantekorps unter den Generalen Erich von Falkenhayn und Otto Liman von Sanders zusammen mit osmanischen Truppen der Division Jildirim - die die Opfer stellten - verteidigt wurde.


War der Bau der anatolischen Bahn als Alternativstrecke schon ein monumentales Ereignis, denn wegen der Anlage von 44 Tunnelbauwerken zwischen Belemedik (Polemedik) und Adana entlang der felsigen Abgründe der Hachakyra-Schlucht verzögerte sich die Fertigstellung der Strecke um Jahre, so stellte die Yarmuktalbahn eine noch größere Herausforderung für die finanzierungstechnische Rechtfertigung der Investition in dieses Bauprojekt dar, denn nur wenige Kilometer weiter nördlich verlief von Beirut nach Damaskus eine bereits fertiggestellte, parallele Bahnlinie, die die Levanteküste mit der von Aleppo nach Medina verlaufenden Hedschaz-Bahn verband.


Doch noch ein weiterer Zusammenhang lässt sich zwischen diesen beiden Jahrhundertbauwerken knüpfen, der möglicherweise die Beharrlichkeit bei der Planung und Durchführung des Baues in einem anderen Licht als dem der Einführung moderner Verkehrsmittel in abgelegene Bergregionen erscheinen lassen mag: die Taurusberge rund um Konya waren der Ausgangspunkt und der Hauran bei El Kerak der Endpunkt der ersten, geplanten europäisch-kleinasiatischen Massendeportation mittels der Eisenbahntechnik und Szenario für die organisationstechnische Beendigung eines bereits Jahrzehnte zuvor begonnenen, systematischen Massenmordes an einer „ethnischen Minderheit“, den Armeniern, deren Sprache, Schrift und Kultur der jüdischen wohl näher verwandt war, als den meisten anderen Kulturen dieser Region.


War der Bagdadbahnbau und in seiner Folge der gesamte Erste Weltkrieg somit ein 800 Jahre lang geplanter und akribisch genau vorbereiteter Rachefeldzug der europäischen Kreuzritterstaaten gegen Saladdins Nachfahren, die ihnen in den unzugänglichen Bergen und fern des Nachschubs aus der Heimat ein militärisches Desaster bereitet hatten ? Das Symbol hierfür mögen die zu Bahngleisen zusammengelegten Schwerter der Kreuzritter-Nachfolger gewesen sein, die, so aus den Erfahrungen ihrer Urahnen lernend und per entsprechender Reiseliteratur von Friedrich Wilken, Otto Henne am Rhyn oder Karl May ideologisch angeheizt oder vorbereitet, mit Heimatanbindung erneut gen Jerusalem zogen. Der Erste Weltkrieg wäre, in Abänderung der bisher offiziellen Geschichtsschreibung also kein deutsch-österreichischer Bruderkrieg mit den benachbarten europäischen Ländern gewesen sondern vielmehr eine, im unausgesprochenen Einvernehmen zwischen Frankreich, England und Deutschland geplante, durch den napoleonischen Ägypten- und Palästinafeldzug von 1799 vorbereitete, systematische koloniale Wiedereroberungsoffensive der nach den Kreuzzügen verlorenen Einflussspähren in der Levante beziehungsweise anders gesagt die koordinierte Zerschlagung des islamischen, Osmanischen Reiches als Nachfolgemacht der über die Kreuzritter siegreichen Sarazenen.


Eng verknüpft im Rahmen dieser „Reconquista“ ist der Bau der Taunusbahn (Weiltalbahn) mit den Bauprojekten Taurusbahn (Anatolienbahn) und Yarmuktalbahn (Hauranbahn) nicht nur wegen seiner zeitgeschichtlichen Parallelität. Die entscheidenden Bauphasen aller 3 Projekte liegen im Zeitraum zwischen 1890 und 1910. Sogar die Unterbrechungen im Weiterbau sowohl der Taurusbahn als auch der Taunusbahn, also der Entscheidung über die weitere Streckenführung ab Konya beziehungsweise ab Weilmünster oder Laubuseschbach sowie die Inangriffnahme der Tunnelbauwerke durch den Weilmünsterer Kirrberg und durch die Hachakyra-Schlucht datieren auf dieselben Jahre. Dies mag an der personellen Entscheidungsstruktur der kaiserlich deutschen Eisenbahnverwaltung gelegen haben, die parallel die Gelder und Streckenplanungen sowohl für den Taunus als auch für den Taurus verwaltete bzw. vorantrieb. Dies mag aber auch darin begründet gewesen sein, dass die Taunusbahn einen Teil des Herzlandes des Nassauischen Fürstentumes durchschnitt, dass sowohl Heimat zahlreicher Kreuzzugsteilnehmer war als auch Ansiedlungsregion mit diesen aus der Levanteregion zurückgewanderter, neugewonnener Familienangehöriger teils sarazenischer, teils jüdischer Abstammung.


Die besondere Verbundenheit der Fürsten von Nassau mit den im Westerwald und Taunusbergland während und nach den Kreuzzugsjahren neuangesiedelten sarazenischen und jüdischen Bevölkerungsteilen lässt sich unter anderem daran ablesen, dass diesen die Erhaltung ihrer kulturellen Gewohnheiten sowie die Gründung und Aufbau eigenständiger Gemeinden mit Religionsgebäuden und später auch Schulen als auch das Praktizieren einer eigenen Sprache und Schrift, dem Hebräischen, möglich war, was heute noch durch die große Zahl kultureller Relikte in zahlreichen Taunusdörfern und Westerwaldgemeinden zum Ausdruck kommt. Auch als anderenorts in Deutschland im Verlauf der Jahrhunderte zwischen 1000 und 1800 nach Christus Hetzjagden und Judenschlachten – wie beispielsweise in Frankfurt in den Jahren 1241 n.C., 1349 n.C. und am 22. August 1614; in Worms im Jahre 1698 – veranstaltet wurden, blieben die jüdischen Gemeinden im Taunus weitgehend von Anfeindungen verschont, ja fanden die in den Großstädten vertriebenen Bevölkerungsteile zumeist schützende Aufnahme in der Umgebung von Wetzlar, Braunfels, Weilburg und Limburg.


Wie es dazu kam, dass trotzdem im Zeitraum zwischen 1890 und 1945 eine zuerst anscheinend spontane, im Verlauf der späteren Jahre aber dann massive und systematische Verfolgung, Vertreibung und schließlich fast vollständige Ausrottung der praktizierten, jüdisch-orthodoxen Kultur in der Gegend nordwestlich von Frankfurt betrieben wurde, soll im Rahmen dieses Forschungsvorhabens mituntersucht werden, wobei insbesondere die bereits kurz umrissenen Zusammenhänge zwischen den Eisenbahnbauprojekten Taurus, Taunus und Yarmuk als auch die Parallelitäten der anschließendenden systematischen Deportationen sowohl der türkischen Armenier von 1911 bis 1916 als auch der deutschen Juden zwischen 1933 bis 1945 per Eisenbahn betrachtet werden sollen.


Für die damit in Zusammenhang stehende Weilmünsterer Ortsgeschichte spielt dabei noch ein weiteres Großbauprojekt eine wichtige Rolle, das sowohl die örtliche Bevölkerungs- und Infrastruktur als auch das örtliche Sozial-, Wirtschafts- und Beschäftigungsgefüge einem entscheidenden Umwandlungsprozeß unterworfen haben mag, der gleichzeitig den Beginn einer der Sternstunden der deutschen Psychiatrie einläutete, nämlich der Bau der Nassauischen Landesheilanstalt, der parallel und in direktem Zusammenhang mit dem Bau der Weiltalbahn geplant und vorangetrieben wurde.


Von 1893 bis 1907 wurde am östlichen Rande Weilmünsters im Waldstück „Hörch“ am Eingang des „Lichtertales“ ein für damalige Zeit hochmoderner, schlossähnlicher Gebäudekomplex erbaut, der sich in seiner äußeren Erscheinung stark von den bis dato bekannten „Anstalten für Geisterkranke“ aus den früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten unterschied. Glichen die früheren „Irrenhäuser“ eher Gefängnissen zur unsichtbaren Absonderung oder zum Verschwindenlassen von Andersartigen, so entsprach das Baumodell der Weilmünsterer Landesheilanstalt eher dem eines fortschrittlichen Konzeptes modernen Wohnens auf dem Lande in herrschaftlicher Umgebung mit angeschlossenem landwirtschaftlichem Produktions- und Selbstversorgungsunternehmen, eigener Wasserversorgung und Kraftwerk – sieht man von dem von Anfang an mitgeplanten, großflächigen Friedhof im angrenzenden Walde und einem dort ebenso versteckt gebauten Krematorium ab.


Die geräumige und helle Bauweise der mehrstöckigen Gebäude unterschied sich dabei so stark von der für die einheimische Bevölkerung Weilmünsters und der benachbarten Weiltalorte bis dahin gewohnten, engen, ländlichen Bauernhaus-Fachwerkarchitektur, dass von der Einrichtung ein beispielhafter Charakter für dort ab der Jahrhundertwende praktizierte Lebenszusammenhänge und architektonische Baustile ausgegangen sein könnte.


Welche Rück- bzw. Wechselwirkungen der modernen Wohnanlage aber insgesamt mit dem Leben der kleinbäuerlichen Nachbarorte entstanden sind, welche sich in einer Phase der wirtschaftlichen Rezession wegen des Ertragsrückganges im Eisen-, Schiefer-, Silber- und Marmorbergbau befanden, ist aus zeitlichem Abstand von nunmehr 100 Jahren schwer zu sagen. Daß die Strukturwandlung in Weilmünster aber zumindestens die orthodoxe jüdische Gemeinde des Dorfes betraf, ist aus indirekten Überlieferungen zu dieser, damals noch existierenden Bevölkerungsgruppe ablesbar.


Möglicherweise zog ein Teil der Weilmünsterer jüdischen Gemeinde in den neuerrichteten Sanatoriums-Gebäudekomplex oder fand dort Anstellung. Ende der Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts existierte dort noch ein jüdisches Wohnheim, dessen Bewohner im Weilmünsterer Einwohnermeldeamt registrierte Bürger der Gemeinde waren. Zu diesem Zeitpunkt wurde der verbleibende Grossteil des Gebäudekomplexes als Unterbringungsort für Mitglieder des Stahlhelmbundes und des Vereines für freiwilligen Arbeitsdienst genutzt.


Die Weilmünsterer Synagoge, die sich am Fuße des Standortes der heutigen katholischen Kirche befunden haben muß, sei „etwa um 1890 verkauft worden“. Die Mitglieder der „sehr geschäftstüchtigen jüdischen Gemeinde“ seien zu diesem Zeitpunkt vollständig aus Weilmünster nach „Weilburg und Brandoberndorf“ abgewandert – ein überraschendes Element für einen Ort, der durch Eisenbahnbau, Fremdenverkehr und Sanatorium in eine hoffnungsvolle Zukunft blickte. Der damals noch auf einer weinbergterrassenartigen Anlage nahe der Ortsmitte am südlichen Kir-Berghang gelegene Alte Jüdische Friedhof sei aufgelöst, die Grabsteine teilweise in Privatbesitz übernommen worden – wobei zufällig der Tunneleingang des Bahnlinienzweiges Weilmünster – Grävenwiesbach direkt neben den Friedhofsterrassen im Kir-Berg verschwindet, so dass der Rauch jeder einfahrenden Lokomotive diesen eingenebelt haben muß.


Sieht man davon ab, dass kurz nach Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Weilmünster – Laubuseschbach ein unbeaufsichtigtes Kind am Bahnhof Rohnstadt von einem Zug erfasst und überfahren wurde, so ist die einige Zeit später im Jahre 1908 verzeichnete Zerstörung der jüdischen Synagoge und der jüdischen Schule in Laubuseschbach durch Brände das wohl einschneidenste Ereignis der historischen Phase von 1900 bis 1910.


Der heute zu Weilmünster zählende Ortsteil war damals noch eine selbständige Gemeinde. Im Ort gab es 1905 eine katholische (5 Personen), eine evangelische und eine zahlenmäßig starke, jüdische (40 Personen) Gemeinde, zu der auch Bewohner der Orte Wolfenhausen und Blessenbach zählten. Letztere verfügte über ein eigenes Religionsgebäude mit einem, für damalige Zeit modernen rituellen Baderaum in der Laubuseschbacher Mittelgasse. Gegenüber diesem Gebäude befand sich eine jüdische Schule, in der den Kindern der jüdischen Gemeinde unter anderem Unterricht in hebräischer Schrift und Sprache erteilt wurde.


In der Bevölkerungsstatistik der Jahre 1900 bis 1910 läßt sich für diesen Zeitraum ein signifikanter Rückgang der Bevölkerungszahl des Ortes beobachten, genauergesagt stagnierte in diesem Zeitraum das aus dem vorherigen Jahrzehnt gewohnte und im Folgejahrzehnt wiederzubeobachtende, starke Bevölkerungswachstum im Ort. Auch für Laubuseschbach, dessen jüdische Gemeinde in den späteren Jahrzehnten (1912: noch 3 Personen; 1927 noch 1 Person) als nicht mehr existent registriert ist, wird bisweilen ein „Fortzug“ der jüdischen Gemeinde erwähnt, wobei der noch gut erhaltene und wunderschöne Alte Jüdische Friedhof des Ortes die ehemalige Bedeutung dieses Glaubensverbandes auch heute noch anschaulich dokumentiert.


Extinktionen größerer jüdischer Gemeinden im Taunus in der Zeit der Jahrhundertwende sind allerdings mehr als ungewöhnlich, ansonsten ist beispielsweise nur für Steinfischbach bekannt, dass die örtliche jüdische Schule mangels Nachwuchs aufgelöst und die verbliebenen Kinder zum Unterricht nach Camberg in die dortige jüdische Schule geschickt wurden. Anderenorts sind Modernisierungen größerer und zentraler Synagogen Grund für die Auflösungen kleinerer, bis dato selbständiger jüdischer Gemeinden gewesen.


Das fast vollständige Verschwinden des orthodoxen Judentumes, der jüdischen Gemeinden und der religiösen Bauwerke im Taunus – mit Ausnahme der Friedhöfe - steht ansonsten im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung und –propaganda sowie deren Folgen, der zuerst spontanen und später organisierten Vertreibung im Umfeld der Kristallnacht vom 9.11. bis 11.11.1938 sowie den darauffolgenden Vernichtungskampagnen, einer Dynamik die sich aus der Logik der Zeugenbeseitigungen einmal begangener, vereinzelter und spontaner „völkischer“ Untaten ableiten lässt.


So bildet auch weiterhin die Geschichte des Weilmünsterer Jüdischen Friedhofes ein Fragezeichen, dass den bisher bekannten, lokalhistorischen Antworten auf die geschichtlichen Ereignisse zwischen 1890 und 1918, zwischen 1918 und 1933 und letztendlich von 1933 bis 1945 zweifelnd fragend gegenübersteht. Denn in kontemporären Chroniken ist als solcher immer nur der jüdische Friedhof auf dem Gelände des Weilmünsterer Klinikums verzeichnet, während der ehemalige Standort am Kir-Berg aber offensichtlich einer gewissen Systematik folgend, aus der Literatur verschwunden ist.


Der als „Jüdischer Friedhof“ bezeichnete, abgetrennte Teil des ausgedehnten Friedhofes des Klinikums mit seinen mehreren tausend mittlerweile aufgelösten ehemaligen Grabstätten, ist allerdings ein technisches Kunstprodukt der Nachkriegszeit. Hier befinden sich die Grabstätten beziehungsweise Grabdenkmäler von insgesamt 65 (68) Menschen jüdischer Abstammung aus der Zeit zwischen 1900 und 1946. Auffällig ist, dass fast alle innerhalb von nur 3 Jahren, von 1938 bis 1940 ums Leben gekommen sind, wobei es sich bei diesen um Bewohner des bereits erwähnten jüdischen Wohnheims auf dem Sanatoriumsgelände gehandelt haben muß, die zu diesem Zeitpunkt Weilmünsterer Bürger waren. Zur damaligen Zeit praktizierte die faschistische „Rassegesundheitsverwaltung“ das sogenannte „T-4-Progamm“ zur Ausrottung sogenannten „Unwerten Lebens“.


Die Mitarbeiter des T-4-Programmes, benannt nach der Zentrale der Mordorganisation in der Berliner Tiergartenstraße 4, beschäftigten sich in den Jahren von 1936 bis 1941 hauptsächlich mit der Ausrottung von wehrlosen „Psychiatriepatienten“ (Alten Menschen, Frauen, Kinder) zumeist durch Injektion von überdosierten Schlafmitteln wie dem heute noch existierenden Medikament Luminal. Nachdem diese Praxis sogar im Nationalsozialismus publik und ruchbar wurde, verlegte man die Mitarbeiter des Projektes an die Ostfront, wo sie in den Vernichtungslagern in der Nähe der heutigen ukrainisch-russischen Grenze (Belzec, Lublin, Sobibor, Treblinka, Majdanek) sowie in von ihnen (Christian Wirth / Hadamar) eigens entwickelten mobilen Gaskammerfahrzeugen Kriegsgefangene, Lagerinsassen und Deportierte aus Rationalisierungsgründen (Einsparung bzw. Entwendung von Versorgungsleistungen) ermordeten.


Nach Kriegsende wurden die Gräber des Neuen Weilmünsterer Jüdischen Friedhofes vom Rest des Klinikum-Friedhofes durch eine Umzäunung abgetrennt. Die übrigen, auf dem Klinikfriedhof verteilten Grabmonumente mit jüdischen Inschriften wurden anschließend dieser Gräbergruppe zugestellt. Den bis dahin anonym beerdigten Opfern des T-4 Programmes wurden dann Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach Daten der Patientenakten gefertigte, gegossene Namenstafeln mit hebräischen Inschriften zugeordnet, wobei auffällt, dass fast 20 der dort beerdigten Frauen, Mädchen und Kinder den Namen Sarah tragen.

Detaillierte Informationen zur Geschichte des Neuen Jüdischen Friedhofes von Weilmünster finden Sie unter:


http://www.cementerio-judio.blogspot.com/
The new Jewish Cemetery at the Weilmünster Sanatory

Fotografien und Textredaktion
Dipl. Biol. Peter Zanger
CID-Forschung / CID-Verlag / Foto-CID - Weilmuenster
13. Februar 2008

Kommunikation
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